Veranstaltung am 19. September 2017

Seit einigen Jahren gehört zum festen Programm unseres Seminars "Fußball-Fankultur in einer Offenen Gesellschaft" auch der Offene Abend. Bei diesem stellen unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen interessierten deutschen Zuhörern die Lage in ihren Heimatländern Belarus, Russland und der Ukraine vor.

 

 

 

Dass mit dem Hinblick auf die WM 2018 das hiesige Interesse an der Situation in den drei ehemaligen Sowjetrepubliken immer größer wird, zeigte unserer Offener Abend am 19. September, welcher den Titel "Russland  - ein Jahr vor der Fußball-Weltmeisterschaft" trug und der von Ingo Petz und Thomas Dudek moderiert wurde. Über 30 Gäste konnten wir im Fanprojekt Berlin begrüßen, darunter auch zahlreiche Journalisten.

 

 

 

Schwarze Listen und die Fan-ID

 

 

Nach einer kurzen Einführung in das Thema, in welcher der im Sommer stattgefundene Confederations Cup im Vordergrund stand, beschrieb Stepan Chausbyan die Bemühungen der russischen Behörden im Kampf gegen Hooligans. Ein Thema, das seit den Ausschreitungen in Marseille während der EM 2016 in Frankreich europaweit die Schlagzeilen dominierte und vor dem Confederations Cup noch einmal stark diskutiert wurde. Bei seinem Vortrag verwies Chausbyan, der selber aus der Fanszene von ZSKA Moskau kommt und heute als Journalist für Sovetskij Sport, die größte russische Sportzeitung arbeitet, auf die Entmachtung des Allrussischen Verbandes des Fußballfans (VOB) und dessen Präsidenten Alexander Shprygin. "Während dieser in der Vergangenheit nicht nur für den Verkauf der Auswärtstickets bei den Auswärtsspielen der russischen Nationalmannschaft verantwortlich war, sondern auch in einigen Gremien des russischen Fußballverbandes RFS Mitspracherecht besaß, spielen der VOB und Shprygin seit der EM keine Rolle mehr", so Chausbyan. Zudem berichtete der junge Moskauer Journalist auch über "Schwarze Listen" der russischen Sicherheitsbehörden sowie die Einführung der Fan-ID. Durch dieses System, das bereits während des Confederations Cups zum Einsatz kam, soll verhindert werden, dass Hooligans Spiele der Weltmeisterschaft besuchen können.

 

 

 

Ein weiteres Thema, das den russischen Fußball immer wieder in Verruf bringt und über welches Chausbyan sprach, ist der Rassismus in den russischen Stadien. "Ja, das ist ein großes Problem", sagte unser Seminarteilnehmer und erklärte, dass sowohl der RFS als auch die Vereine mittlerweile Kampagnen gestartet haben, um den Rassismus in den Stadien zu bekämpfen. "Rassismus gibt es aber nicht nur in den russischen Stadien, sondern auch in anderen Ländern", war es Chausbyan während seines Vortrags jedoch wichtig zu betonen.

 

 Überteuerte Stadionbauten

 

 

Eine innerrussische Debatte, die in Deutschland bisher nicht besonders beachtet wird und die Chausbyan in seinem Vortrag vorstellte, ist die über die Zukunft der russischen WM-Arenen. Der junge Sportjournalist berichtete, dass es in Russland durchaus Kritik an der Entscheidung gibt, einige Städte zu Austragungsorten gemacht zu haben, in denen wie in Kaliningrad nur unterklassige Mannschaften spielen, für die die errichteten WM-Arenen einfach nur zu groß sind. In diesem Zusammenhang verwies Chausbyan auch auf die in Russland geäußerte Kritik an den hohen Kosten für die neuen Stadien und nannte als Beispiel die Arena in St. Petersburg. "Dieses Stadion hat eine Milliarde Euro gekostet", sagte Chausbyan und zeigte Verständnis für die Kritiker, die darauf hinweisen, "dass Russland mit all seinen sozialen Problemen, das Geld auch für andere Zwecke hätte ausgeben können als für die WM."

 

 

 

Vereine und Fans im Exil

 

 

 

Nach den Informationen aus Russland, stellte Oleksandr Demianchuk die Situation in seinem Heimatland Ukraine vor. Demianchuk, der in der Vergangenheit als Sportjournalist tätig war und sich heute in der Führung seines Heimatvereins Prikarpattja Ivano-Frankivsk engagiert, erzählte über die Auswirkungen, die der Krieg in der Ukraine auf den Fußball und die dortige Fanszene hat. Dabei verwies Demianchuk auf das Schicksal der ostukrainischen Vereine wie Schachtar Donezk oder Sorja Luhansk, die wegen des bewaffneten Konflikts im Donbass gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen und ihre Ligaspiele als auch internationale Partien nun in anderen Städten austragen müssen. "Doch nicht nur die Vereine mussten ihre Heimat verlassen, sondern auch ihre Ultras", fügte Demianchuk hinzu. In seinem Vortrag ging der 31-Jährige auch auf die wirtschaftlichen Probleme ein, mit denen der ukrainische Fußball seit dem Ausbruch des Krieges zu kämpfen hat. Diese machen sich nicht nur in den rückläufigen Zuschauerzahlen bemerkbar, sondern vor allem durch die finanziellen Probleme der Klubs. "Viele Oligarchen verloren ihr Interesse am Fußball, was für manche Klubs dramatische Folgen hatte", erklärte Demianchuk. Hier verwies er auf das Engagement ukrainischer Fans, die ihre Klubs neugründeten und nannte als Beispiel die Anhänger von Metalist Charkiv, die nach der Insolvenz des ehemaligen Spitzenvereins mit dem FK Metalist 1925 Charkiv einen Neustart wagten. Dass solch ein Schritt jedoch nicht bei allen Fans populär ist und dazu noch zu teilweise skurrilen Situationen führt, zeigt laut Demianchuk das Beispiel FK Dnipro. Nach dem finanziellen Niedergang des Europa League-Finalisten von 2015, gründeten einige Fans den Klub neu. Mit dem Ergebnis, dass heute beide Klubs unter dem fast gleichen Namen in der 2. Liga, die der 3. Liga in Deutschland entspricht, spielen. "Der Großteil der Dnipro-Fans war jedoch gegen die Neugründung des Vereins, weshalb sich dieser in der Fanszene nicht großer Beliebtheit erfreut", erklärte Demianchuk.

 

 

 

Abkommen der Fans

 

 

Demianchuk berichtete jedoch nicht nur über die Auswirkungen, die der Krieg in der Ukraine auf den Fußball hat, sondern auch über die Veränderungen innerhalb der Fanszene, "die bis auf die Anhänger von Arsenal Kiew politisch rechts einzuordnen sind", wie Demianchuk bemerkte. "Mit dem Maidan gab es ein Abkommen zwischen den Fangruppen, die damit alle Konflikte einstellten", erklärte unser Seminarteilnehmer. Zudem berichtete Demianchuk auch über die neue Popularität der ukrainischen Nationalmannschaft: "Diese erfreut sich in den letzten Jahren einer immer größeren Beliebtheit. Auch die Ultras der Klubs unterstützen diese immer stärker."

 

 

 

Von Fans gegründeter Verein als Vorbild

 

 

 

Während des letzten Vortrags an diesem Abend gab Yahor Khavanski einen Einblick in den belarussischen Fußball, der in Deutschland so gut wie unbekannt ist. Was nicht verwunderlich ist. Auch in Belarus hat der Fußball mit enormen Problemen zu kämpfen, wie der junge Sportjournalist aus Sluzk erklärte. "Die meisten Vereine werden in Belarus von staatlichen Betrieben getragen und unterstützt. Dementsprechend gering sind die Budgets der meisten Klubs", erklärte Khavanski. "Zudem fehlen in vielen Klubs und beim Verband die entsprechenden professionellen Strukturen", so unser Seminarteilnehmer weiter, für den die Schwäche des belarussischen Fußballs sich auf den Tribünen bemerkbar macht. "Die Zuschauerzahlen sind bei uns sehr gering", erklärte Khavanski. Dass es im belarussischen Fußball jedoch auch positive Entwicklungen gibt, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen, zeigt nach Meinung des jungen Sportjournalisten der FK Krumkachy. Der Verein, vor einigen Jahren von Fußballfans gegründet, spielt heute in der höchsten Spielklasse des Landes. "Dort zeigt man, dass man mit wenig Geld und viel Engagement und Enthusiasmus auch erfolgreich arbeiten kann", sagte Khavanski.

 

 

 

 Zum Schluss unseres Abends ging es um die Frage, wie groß das Interesse in den jeweiligen Ländern an der WM im kommenden Jahr ist. Stepan Chausbyan erklärte, dass die russischen Ultras zwar kein Interesse an Spielen der Nationalmannschaft haben, er aber trotzdem mit gut gefüllten Stadien rechnet, da die Eintrittskarten für russische Staatsbürger billiger sein werden als für Ausländer. Demianchuk verwies wiederum darauf, dass die WM-Qualifikation der Ukraine noch fraglich ist. Falls sich die Ukraine für das Turnier jedoch qualifizieren sollte, kann man Meinung Demianuks fest davon ausgehen, dass zumindest die ukrainischen Ultras aus politischen Gründen nicht nach Russland reisen werden. Auch mit belarussischen Fans ist im nächsten Sommer kaum zu rechnen, was jedoch sportliche Gründe hat, wie Khavanski bemerkte, da die belarussische Nationalmannschaft kaum noch eine Chance auf die Teilnahme hat.

 

 

 

Bei der Gelegenheit bedanken wir uns bei den vielen Gästen für ihr Erscheinen. Besonderer Dank gilt dem Fanprojekt Berlin für die mittlerweile schon jahrelange Unterstützung und Gastfreundschaft.