Geschichte, Dialog und Fanarbeit


Wir freuen uns, dass wir solch eine internationale Gruppe aus echten Experten rund um die Fanarbeit zu Gast haben, und ich wünsche Ihnen und uns, dass dieses Treffen und der Austausch fruchtbar für uns alle sein und dass wir voneinander lernen werden.“ Michail Botnikov, Vizepräsident des belarussischen Fußballverbandes, begrüßte die Gruppe am ersten Tag der Fanbegegnung und des Arbeitstreffens in den Räumlichkeiten des Verbandes, Haus des Fußballs genannt, gelegen am breiten Prospekt der Sieger in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Auch Olliver Tietz, Geschäftsführer der DFB-Kulturstiftung, und Britta Klose, die sich beim DFB für Fanbelange verantwortlich zeigt, richteten ein paar Worte der Begrüßung an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Belarus, aus Deutschland, aus der Ukraine und aus Russland. Darunter Mitarbeiter der sozialpädagogischen Fanprojekte in Jena und in Trier, Vertreterinnen der Eisernen Hilfe oder der Russischen Fanbotschaft, Sportjournalisten, Mitarbeiterinnen von Dinamo Kyiv oder Vertreter von Vereinen wie Krumkachy (Die Raben), den wir in den nächsten Tagen noch besser kennen lernen sollten.

 

Nach der offiziellen Eröffnung berichtete Britta Klose über die Fanarbeit im Umfeld eines internationalen Spieles. So bestand das Team der örtlichen Fanbetreuung im Rahmen des EM-Qualifikationsspiels Belarus – Deutschland aus zwei Mitarbeitern sozialpädagogischer Fanprojekte und einem Fanbeauftragen eines Fußballvereins, die als Ansprechpartner für die deutschen Fans in Minsk und beim Spiel in Baryssau unterwegs waren. Philipp Beitzel, Mitarbeiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), stellte in seinem Vortrag schließlich dar, mit was für einem beträchtlichen Aufwand die Fanbetreuung bei internationalen Turnieren organisiert wird. Bei der WM in Russland beispielsweise seien 15 Personen im Team der deutschen Fanbotschaft gewesen, eine Maßnahme, die vom DFB finanziert wird, um den Fans das Leben an einem fremden Ort leichter zu gestalten. Matthias Stein vom Fanprojekt Jena berichtete danach eindrücklich, wie die sozialpädagogische Fanarbeit bei einem Traditionsverein wie dem FC Carl Zeiss Jena aussieht. Danach erklärten Igor Belkovich und Yuri Savoskij, die für das Marketing, aber auch für Fanbelange beim ABFF zuständig sind, welchen Herausforderungen sie in ihrer alltäglichen Fanarbeit begegnen. Dabei wurde vor allem betont, wie niedrig die Zuschauerzahlen selbst in der höchsten Spielklasse des Landes sind (rund 2000 im Durchschnitt) und dass man mit dem Vereinen zusammen an Strategien arbeiten würde, um wieder mehr Leute für den lokalen Fußball in Belarus zu interessieren.

 

Danach ging es mit Bussen an der Rand der belarussischen Hauptstadt Minsk, nach Maly Trostenez, einer großflächigen Gedenkstätte, die in Erinnerung an die dort durch die Nazis rund 60.000 ermordeten Menschen in den vergangenen Jahren errichtet wurde. Die Kolchose aus der Vorkriegszeit war durch die Nazis 1942 in ein Landgut mit Arbeitslager umfunktioniert worden, das Gemüse und Fleisch zur Versorgung der deutschen Truppen produzieren sollte. Allerdings fungierte der Ort schon ab Mitte 1942 als Mordstätte für die aus dem Deutschen Reich, aus Polen und aus dem Protektorat Böhmen und Mähren deportierten Juden. Dr. Sjarhej Novikau, der sich seit vielen Jahren mit der NS-Vernichtungsstätte beschäftigt, berichtete während der dreistündigen Exkursion über das weitläufige Areal über die komplexe Geschichte von Maly Trostenec, von furchtbaren Einzelschicksalen, von den grausamen Erschießungen und Verbrennungen und von der Schwierigkeit, in einem sowjetisch geprägten und bis heute autoritär regierten Land wie Belarus zu einer einvernehmlichen Erinnerungskultur zu kommen. Schließlich gab es den Holocaust in der Siegererzählung des Sowjetunion nicht, wie es auch keine Zwangsarbeiter oder Kollaborateure gab. Am Ende der Führung legten Ingo Petz von Fankurve Ost und Olliver Tietz für die DFB-Kulturstiftung im Namen aller Anwesenden einen Gedenkkranz an der Erschießungsstelle von Blagowtschina nieder. Es war das erste Mal, dass Fußballfans aus vier Ländern, die die tragische Geschichte des Zweiten Weltkriegs miteinander teilen, die Gedenkstätte besuchten – ein Beispiel dafür, wie sehr Fußball die Menschen verbindet und hilft, auch schwierige Themen anzugehen und zu transportieren. „Das war für mich ein sehr bewegender Moment“, sagte Zhenja, ein belarussischer Teilnehmer. „Ich hatte schon von dieser Vernichtungsstätte gehört. Aber bei uns lernt man nicht viel von solchen Orten. Und ich bin froh, dass wir diesen Ort zusammen besucht haben, was ihn für mich auch ein wenig europäischer macht.“ Die belarussische Presse berichtete im Nachgang über unseren Besuch.

 

Der Tag endete schließlich mit einem Kultur- und Begegnungsabend in der Sportsbar FanDom Dinamo des gleichnamigen Eishockeyclubs. Der bekannte belarussische Künstler und Schriftsteller Artur Klinau las aus seinem Buch „Minsk. Sonnenstadt der Träume“, in dem er seine Heimatstadt als ein utopisches Kulturmodell beschreibt, das von den Kommunisten als Eingangstor zum „Land des Glücks“ errichtet wurde. Die deutsche Version trug Sophia Glinka, eine Freiwillige am Goethe-Institut Minsk, vor. Nach der eindrücklichen Lesung, die uns Minsk aus einer anderen Warte zeigte, gab es zum Abschluss den Kurzfilm „The 12th Man“ von Daniel Gruener und Duane Hopkins, der die starken Emotionen rund um ein Fußballspiel aus der Perspektive eines Außenstehenden zeigt. Olliver Tietz nutzte die Gelegenheit, um zu betonen, wie sehr Kultur und Fußball helfen würde, Menschen aus verschiedenen Kontexten und Kulturen zusammen zu bringen, und wünschte allen Beteiligten einen Abend des Austauschs und der Begegnung. In die Sportsbar waren auch viele ehemalige Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Fankurve Ost-Seminare „Fußball-Fankultur in der Offenen Gesellschaft“ gekommen sowie Anhänger der deutschen Nationalmannschaft, Gäste und Freunde.

 

Der Samstag startete mit einer ausgiebigen Stadttour entlang des Prospekts der Unabhängigkeit, der Magistrale, die sich acht Kilometer von Ost nach West durch Minsk zieht. Artur Kinau berichtete nun anhand von ausgesuchten Plätzen, Orten und Gebäuden über das Konzept der „Sonnenstadt“, über den „Platz der Weisheit“, an dem bis heute das Parlament steht oder über all die Arbeiterpaläste, die barockverziert den Prospekt säumen und die für die vermeintlichen Herrscher im „Land des Glücks“ gedacht waren: für die Arbeiter. Anschließend besuchten wir den Verein NFK FC Minsk Krumkachy, der sich „die Raben“ nennt. Ein Verein, der einer der wenigen Beispiele in Belarus dafür ist, wie Fans einen Verein gegründet haben. Die meisten Vereine gehören zu staatlichen Strukturen oder staatlichen Unternehmen. Fans berichteten uns in teilweise sehr emotionalen Geschichten vom Aufstieg des Vereins in die höchste Spielklasse des Landes und vom Zwangsabtieg in die dritte Liga in Folge der Vereinsinsolvenz.

Dann trat die Gruppe die Reise nach Baryssau an. Auf halbem Weg, in der Nähe der Stadt Smolivichi, wurde ein spontaner Stopp eingelegt, um das Zweitligaspiel Smolivichi – Orscha zu besuchen. Ein Spiel, bei dem auch zahlreiche deutsche Fans anwesend waren. Bei dem EM-Qualifikationsspiel Belarus – Deutschland in der BATE-Arena, die trotz ihres geringen Fassungsvermögens von 13.000 Plätzen nicht ausverkauft war, sah unsere Gruppe am späten Abend ein Spiel, das durch die Abwehrleistung der Belarussen und das etwas fahrige, wenn auch bestimmende Spiel der deutschen Mannschaft geprägt wurde. Ein Spiel, das die deutsche Nationalmannschaft am Ende mit 2:0 für sich entscheiden konnte. Vor allem fiel auf, dass viele Belarussen auch die deutsche Nationalmannschaft unterstützten.

 

Die Gefühle der Teilnehmer drückte nach dem Besuch stellvertretend Elena Erkina aus Sankt Petersburg aus, wie man in einem eindrücklichen Beitrag auf der Seite des DFB nachlesen kann. Die 35-Jährige ist für die russische Fan-Botschaft tätig. 2017 hatte sie erstmals an einem Seminar von Fankurve Ost in Berlin teilgenommen und nach eigener Aussage vor allem den offenen und kritischen Austausch schätzen gelernt. "Wir Seminarteilnehmer haben viel darüber erfahren, wie wir als Fans unser Leben mit dem Fußball selber in die Hand nehmen und eine Stimme formulieren. Wir haben historisch alle einen ähnlichen biografischen Hintergrund und sehen durch solche Kontakte, dass wir nicht nur verantwortlich für die Stimmung im Stadion, sondern auch für die Atmosphäre außerhalb der Spiele sind. Die demokratische Zusammenarbeit in den Fan-Initiativen gibt uns die Möglichkeit, über den Fußball auch die Zivilgesellschaft zu verändern. Und dazu gehört auch zu vermitteln, dass Fußball das Gegenteil von Krieg ist."


Wir bedanken uns bei der DFB-Kulturstiftung und Olliver Tietz für die Partnerschaft und tolle Zusammenarbeit, bei Britta Klose vom DFB für die Unterstützung und bei Igor Belkovich und Alexander Tristen vom ABFF für ihr Engagement und ihre Gastfreundschaft und für die Einladung zum Spiel in Baryssau.

 

 

Bericht des Fanprojekt Trier über die Reise nach Belarus.

Beitrag des ABFF zum Arbeitstreffen.